Inneres Team: finde einen leichteren Umgang mit inneren Konflikten
Momente, die uns besonders emotional fordern, führen häufig zu einer inneren Zerrissenheit. Es ist dieses Hin und Her im Kopf, das Abwägen zwischen unterschiedlichen Gefühlen und Meinungen. Die unterschiedlichen Anteile in uns, die für dieses Durcheinander sorgen, werden auch als Inneres Team bezeichnet. In diesem Beitrag erfährst du, warum das innere Team für das eigene Selbstverständnis so wertvoll ist und wie du deine eigenen Anteile besser kennenlernen kannst.
Es gibt solche Momente: Eine Freundin heiratet. Der Junggesellinnenabschied steht an. Und während die anderen in der Chat-Gruppe schon wild Ideen spinnen, passende Shirts, Getränke und Spiele heraussuchen, starrst du noch wie versteinert auf die Namen der Mitgliederliste. Du kennst sie nicht. Vielleicht eine, maximal zwei. Du willst nicht mit Fremden durch die Stadt ziehen, alberne Spiele spielen und in regelmäßigen Abständen laut “Whoooo!” rufen. Das bist du einfach nicht.
Aber es geht nicht um dich, es geht um deine Freundin. Und du willst diesen besonderen Tag mit ihr feiern, ihr zeigen, dass sie dir wichtig ist. Aber das alles ist so blöd und sie würde auch nicht wollen, dass du keinen Spaß hast. Aber vielleicht wird es auch lustig und du wirst dich noch lang an diesen Tag erinnern. Aber du könntest dich auch total blamieren …
Hin und her, hin und her …
Momente der inneren Zerissenheit
Diese innere Zerrissenheit kennst du sicher, wenn auch von einer ganz anderen Situation. Besonders wenn wir vor wichtigen Entscheidungen stehen, beginn dieses innere Durcheinander oder auch Gegeneinander. Es ist wie ein Streitgespräch mit dir selbst, in dem deine inneren Werte, Bedürfnisse und Ansichten gegeneinander abgewogen werden.
Man spricht auch von inneren Anteilen und meint damit die vielen verschiedenen Facetten unserer Persönlichkeit. Jeder dieser Anteile hat seine ganz eigene Funktion und tritt auf individuelle Weise in Erscheinung. Unser innerer Angsthase will uns vor schlechten Erfahrungen beschützen und wählt deshalb gerne Vermeidungsstrategien, wohingegen unser innerer Kritiker oft hart mit uns ins Gericht geht und uns für unsere Ängstlichkeit rügt.
Wir bestehen alle aus unterschiedlichen Anteilen mit unterschiedlichen Ausprägungen. Zudem ist unser innere System dynamisch, sodass sich je nach Situation andere Anteile bemerkbar machen, sie mal stärker und mal schwächer auf- und sich gerne gegenseitig auf den Füßen herumtreten.
Um die inneren Prozesse unserer Persönlichkeit greifbarer und leichter erklärbar zu machen, entwickelte der Psychologe Friedemann Schulz von Thun die Metapher des inneren Teams.
Was ist das innere Team?
Die Metapher des inneren Teams unterscheidet zwischen einer Führungsperson, das Oberhaupt, und dem Team.
Das Team
Das Team, das sind all die inneren Anteile, also unsere innere Vielfalt basierend auf unseren Werten, Ansichten, Bedürfnissen und Erfahrungen. Wie in jedem Team, unterliegt auch dein inneres Team einer Gruppendynamik mit Reibung, Konflikten, aber auch Bestärkung und gegenseitigen Synergieeffekten. Das Modell des inneren Teams zielt darauf ab, diese teilweise gegeneinander wirkenden Kräfte sichtbar zu machen, um es dem Oberhaupt zu ermöglichen, sie zu leiten.
Das Oberhaupt
Doch wer ist eigentlich dieses Oberhaupt? Das bist du. Du bist der Kopf dieses wilden Haufens. Deshalb ist ist es deine Aufgabe, ihn regelmäßig zusammenzutrommeln, ihn anzuhören und konstruktiv anzuleiten. Eines ist besonders wichtig: jedes Mitglied deines Teams handelt aus einer guten Absicht heraus. Die Strategie die es dafür einsetzt (Humor, Rückzug, Angriff, Ablehnung, …), hat sich an irgendeinem Punk deines Lebens bewährt und wurde deshalb in deinem Repertoir abgespeichert.
Die folgende Übung soll es dir erleichtern, dein inneres Team kennenzulernen, seine Strategien zu verstehen und ihm ein Gesicht zu verleihen.
Dein inneres Team: Zeit, für eine Vorstellungsrunde
Brrrr… Vorstellungsrunde. Der Alptraum eines jeden Intros. Doch auch hier bleiben wir ganz unter uns. Die Vorstellungsrunde ist quasi deine innere Inventur um herauszufinden, welche Anteile sich in dir verbergen. Das ist gar nicht so einfach, da wir unsere eigenen Persönlichkeitsausprägungen für gewöhnlich als selbstverständlich wahrnehmen.
Die folgenden 4 Schritte helfen dir dabei, dein Team aus der Reserve zu locken und es besser kennenzulernen. Mach es dir gemütlich, schnapp dir Zettel und Stift und leg los.
Schritt 1: Freies Gedankensammeln
In diesem Schritt geht es darum, erst einmal alle deine inneren Anteile aufzulisten. Überlege dir, welche Persönlichkeitsmerkmale für dich typisch sind, wie du in bestimmten Situationen reagierst oder welche Gefühle sich bei dir immer mal wieder zeigen. Spiele gedanklich unterschiedliche Situationen in deinem Alltag durch, sowohl positive als auch negative. Das hilft dir, dich an die damit verbundenen Emotionen und Verhaltensmuster zu erinnern. Wenn dir das sehr schwer fällt, nutze die folgenden Begriffe als Inspiration. Versuche aber unbedingt nur die Worte zu nehmen, die auch wirklich zu dir passen.
kritisch, ängstlich, humorvoll, abenteuerlustig, berechnend, zickig, gütig, herzlich, perfektionistisch, ärgerlich, bestimmend, unterordnend, anspruchsvoll, anerkennung suchend, selbstsicher, rücksichtslos, panisch, kontrolliert, fürsorglich, verletzlich, antreibend, schüchtern, neugierig, beschämt …
Schritt 2: Gedanken sortieren
Gedanken sortieren: bist du mit der Auflistung zufrieden, geht es ans Sortieren. Manche Begriffe sind vielleicht sehr ähnlich oder meinen eine gleiche Gefühlslage. Dann kannst du sie zusammenbringen. Dafür kannst du bunte Stifte nutzen und zusammengehörende Begriffe in der gleichen Farbe einkreisen. Jede Begriffs-Gruppe (Farbe) steht für ein Teammitglied. Beispiel für eine Zusammenführung können sein:
- lustig, humorvoll, albern
- ängstlich, scheu, zurückgezogen
Schritt 3: Team Gesicht und Namen Verleihen
Um deine einzelnen Team-Mitglieder noch greifbarer für dich zu machen, kannst du ihnen einen Namen geben und eine kleine Zeichnung von ihnen anfertigen. Hier spielt es keine Rolle, wie gut deine Zeichen-Skills sind. Du machst diese Übung für dich persönlich und musst niemandem etwas beweisen. Als kleine Hilfe kannst du auch die Vorlagen in der PDF nutzen. Der Name sollte möglichst auf die damit verbundenen Eigenschaften und Gefühle zurückführen. Dabei kannst du ganz pragmatisch (“Perfektionistin”) oder auch etwas verspielter (“Paula Perfekt”) vorgehen. Am Ende dieses Schrittes steht dein inneres Team in voller Pracht vor dir.
Schritt 4: Steckbriefe schreiben
Um die einzelnen Mitglieder deines Teams besser zu verstehen, fertigen wir kleine Steckbriefe von ihnen an. Sie geben uns Einblicke in ihre Motivation und Intentionen. Die folgenden Punkte dienen dir als Hilfestellung für diesen Schritt. Du musst nicht unbedingt alle nutzen. Erinnere dich daran, dass jedes deiner Teammitglieder in guter Absicht handelt. Versuche also entsprechend wohlwollend ihr Profil zu erstellen. Unter jedem Satz findest du ein Beispiel, wie die Antwort von Paula Perfekt lauten könnte.
Mein Glaubensatz:
„Ich darf keine Fehler machen. Ich will doch, dass wir erfolgreich sind.“
Ich melde mich immer dann, wenn …
„… ich das Gefühl habe, dass andere uns und unsere Arbeit bewerten.„
Es geht mir gut, wenn …
„… ausreichend Zeit und Ressourcen zum Erfüllen unserer Aufgaben vorhanden sind.„
Ich erinnere mich besonders an den Moment, als …
„… unsere Abschlussarbeit schlecht bewertet wurde und ich mich als Versagerin gefühlt habe.„
Ich trete in Erscheinung durch:
„Unruhe, Nervosität, Innerer Druck, Genauigkeit, Detailverliebtheit, Zuverlässigkeit„
Ich bin unterstützend, weil:
„Ich dafür sorge, dass wir gute Arbeit leisten.„
Ich bin hinderlich, weil:
„Ich uns mit meinen Ansprüchen zu sehr unter Druck setze.„
An dem Beispiel von Paula Perfekt können wir erkennen, dass jedes Teammitglied sowohl positive als auch negative Aspekte mit sich bringt. Paula sorgt dafür, dass die Arbeit genau und zuverlässig ausgeführt wird. Sie kann aber auch zu innerem Druck und Unsicherheit führen. Versuche bei all deinen Teammitgliedern immer beide Seiten zu beleuchten und zu notieren. Wie du siehst, habe ich für Paulas Sätze immer die “wir”-Form verwenden. Damit ist immer das ganze Team gemeint. Denn Paulas Handeln bezieht sich immer auf das Ganze, das gesamte Team.
Da steht es vor dir, dein inneres Team. Ein bunt gemischter Haufen, der tagtäglich eng zusammenarbeitet. Das funktioniert nicht immer reibungslos. Als Oberhaupt deines Teams ist es deine Aufgabe, alle unter einen Hut zu bringen und ihnen genügend Raum zu geben. Auch wenn wir die Störenfriede manchmal am liebsten von Board werfen würden: sie gehören dazu und erfüllen wichtige Funktionen. Statt sie zu bekämpfen, wollen wir also auch ihnen einen Platz einräumen. Vielleicht entdeckst du mit der Zeit auch ganz neue Mitglieder in deinem Team.
Das Bewusstsein über die einzelnen Mitglieder deines Teams kann dir bereits helfen, sie besser wahrzunehmen, dich selbst besser zu verstehen und all deine Persönlichkeitsmerkmale liebevoll anzunehmen.