Oh nein, die Sonne scheint!
Wenn schönes Wetter die Laune verhagelt
Der Tag war schon voll verplant: ein bisschen aufräumen und das Bad putzen, um mich später in der Badewanne richtig wohlzufühlen. Das leckere Essen von gestern aufwärmen und bei einer neuen Folge Bridgerton verputzen. Gemütlich mit der großen Kaffeetasse aufs Sofa lümmeln, Blogartikel schreiben und mich in den Pausen mit einer gepflegten Runde Sims belohnen. So ein wunderbarer verregneter Sonntag eben.
Doch was ist das?!? Was blitzt da so aufdringlich zwischen den Vorhängen hervor? Warum ist da Sonne?!? 😩☀️
Wenn das fröhliche Drinbleiben auf die Probe gestellt wird
Wenn man wie ich das Leben am liebsten drin, so ganz für sich allein, verbringt, ist ein sonniger Tag gar nicht mal so eine gute Nachricht. Während andere sich in den Parks mit Freunden tummeln, am See in der Sonne aalen oder mit Eis und Sonnenbrille durch die Viertel flanieren, stehe ich noch immer fassungslos am Fenster und gehe gedanklich die Schritte eines Regentanzes durch. Warum heute? Warum immer ich? Jetzt muss ich ja rausgehen. Wer weiß wann es wieder so schön wird. Ich darf das doch nicht verpassen!
Ganz schön viel Druck und Unruhe, die da plötzlich aufkommt. Aber woran liegt das? Sollte an einem schönen Tag nicht die Laune eigentlich nach oben gehen?
☀️ Gesellschaftliche Erwartungen setzen uns unter Druck. Es gibt so eine Art unausgesprochenes Regelwerk dafür, wie man sich bei schönem Wetter zu verhalten hat. Natürlich geht man da raus, genießt die Sonne und verbringt Zeit mit Freund:innen. Das haben wir schon von klein auf gelernt. Bleiben wir stattdessen drinnen, ist das für manche so, als würde man nicht dazugehören, den Erwartungen anderer nicht gerecht werden und sich somit irgendwie falsch verhalten.
☀️ Soziale Medien geben uns vor, wie unser Leben sein sollte. Beim Scrollen durch Social Media Apps wird der Druck von außen zusätzlich erhöht. Wir sehen hier in Echtzeit, wie andere top gestylt vor hippen Cafés abhängen und das beste aus dem Tag herausholen.
☀️ Unsere eigenen Erwartungen setzen uns unter Druck. Auch wir selbst und unsere eigenen Erwartungen haben Einfluss auf unser Wohlbefinden. Wir haben ein Idealbild von Mensch, dem wir gerecht werden wollen. Das passt nicht immer mit dem zusammen, was wir eigentlich mögen und wollen. Dadurch entsteht Unzufriedenheit und Unruhe.
☀️ FOMO macht sich breit. “Fear of missing out” oder eben kurz “FOMO” wird das unbehagliche Gefühl genannt, das entsteht, wenn man glaubt, etwas zu verpassen. Typischerweise entsteht es bei konkreten Events, an denen man nicht teilnehmen kann – beispielsweise eine Party, zu der alle Freunde gehen, man selbst aber nicht. FOMO kann auch immer dann entstehen, wenn draußen die Sonne scheint und wir aber drinbleiben. Besonders weil das Wetter so unkontrollierbar ist, verfestigt sich in uns der Gedanke, wir müssen jeden Sonnenstrahl miterleben.
☀️ Das Wetter steht im Widerspruch zu unserer Innenwelt. Es gibt diese Tage, da möchte man sich einfach zurückziehen, ist vielleicht ein bisschen grummelig und dösig und will einfach in Ruhe gelassen werden. Dann nimmt man die Sonne, den blauen Himmel, die fröhlichen Menschen als viel zu aufdringlich und unangenehm wahr. Das Innenleben passt einfach nicht zum Außenleben. Dann heißt es Vorhang zu und zurück ins Bett.
Wie umgehen mit dem Schönwetter-Druck?
Damit uns der Sonnenschein nicht die Laune verhagelt, gibt es zum Glück auch ein paar Tipps, wie wir besser damit umgehen können. Vermutlich wird es nicht die eine Stellschraube geben, die plötzlich alles ändert. Also schafft euch am besten eine Kombination aus Anpassung der inneren Haltung und dem äußerem Verhalten, um den Druck aus der Situation zu nehmen. Hier meine Tipps für euch:
⛅ Geht nur ein bisschen raus. Vielleicht fändet ihr es ja schon schön, in die Sonne zu gehen, aber die Hemmschwelle ist einfach zu hoch. Man muss sich erst verabreden, zurechtmachen, viel Zeit investieren und ursprüngliche Zuhause-Pläne über den Haufen werfen. Dann regelt das Ganze runter, sodass es euch leichter fällt. Macht alleine einen Spaziergang, geht eine Runde zum Einkaufen oder setzt euch für eine halbe Stunde auf den Balkon. Vielleicht könnt ihr einige eurer Pläne auch einfach nach draußen verlegen: geht mit eurem Lieblingsbuch in den Park, beantwortet eure Mails auf dem Balkon, lernt beim Spazieren für die anstehende Prüfung. Und wenn euch auch das zu viel ist: setzt euch einfach auf die Fensterbank und erfreut euch an dem Gewusel vor eurer Haustür.
💛 Akzeptiert eure Vorlieben und Bedürfnisse. Wir sind nun mal nicht alle gleich. Und auch wenn das allgemeine Bild vorherrscht, dass alle bei schönem Wetter am liebsten nach draußen eilen – es ist kein vollständiges Bild. Es gibt viele Menschen, die ihren Tag lieber drinnen verbringen. Und wenn ihr dazu gehört, ist das völlig in Ordnung. Fragt euch, was heute passieren muss, damit ihr am Ende des Tages zu euch sagt “das war heute ein schöner Tag” – und dann tut genau das.
🧐 Analysiert eure innere Unruhe. Gerade wenn es darum geht, dass die eigene Stimmung nicht so gut zum schönen Wetter passt, ist eure Aufmerksamkeit gefragt. Ist das nur mal heute so, oder eigentlich immer? Wenn ihr das Gefühl habt, dauerhaft eine gedrückte Stimmung zu empfinden, lasst das lieber professionell abklären. Womöglich steckt mehr dahinter.
🫶 Sucht nach Gleichgesinnten – auch auf Social Media. Vielleicht wisst ihr von Freunden oder Verwandten, dass sie auch lieber ihre Zeit zuhause verbringen. Seht sie als Verbündete und sucht an solchen Tagen den Kontakt mit ihnen. Es wird euch erleichtern, zu hören, dass sie auch drinbleiben. Auch auf Social Media gibt es zunehmend Accounts von Menschen, die sich als Drinnies identifizieren. Ihnen zu folgen wird euch zeigen, dass ihr nicht allein mit euren Vorlieben seid.
🏖️ Macht euren Balkon zum Drinnie-Paradies. Sofern ihr einen Balkon besitzt, schaut doch mal nach, ob er eigentlich eure Bedürfnissen als Drinnie gerecht wird. Stehen da die unbequemen Holzklapp-Stühle und sonst ist alles grau und trostlos? Dann wird es Zeit, Hand anzulegen! Es gibt viele tolle Dinge, die einen Balkon in eine wahre Rumhäng-Oase verwandeln können. Outdoor-Teppiche und Palettenkissen auf dem Boden sorgen für Wohnzimmer-Atmosphäre, hohe Pflanzen und Blickschutz-Paneele verleihen ein zusätzliches Höhlengefühl. Dann fehlt nur noch ein Klapptablett mit deinen Lieblingssnacks und du wirst dir wünschen, die Sonne geht nie wieder unter. Du hast keinen Balkon, aber einen sonnigen Platz in deiner Wohnung? Funktioniert genau so gut 😊
🛋️ Verlegt eure Draußen-Aktivitäten nach Drinnen. Eiskaffee in der Sonne, Füße im kalten Nass, das schöne Blumenkleid umtanzt die Knie. Wer sagt, dass das nur draußen geht? Wir lieben das schöne Wetter doch vor allem deshalb, weil dann endlich wieder all die Dinge möglich sind, die wir den Winter über nicht tun konnten. Doch du musst sie nicht immer nach draußen tragen, damit sie funktionieren. Sag dir einfach: heute ist es schön draußen, also schlüpfe ich in mein schönstes Kleid, werfe die größte Kugel Vanilleeis in meinen Kaffee und stell mir dann die Schüssel mit Wasser vors Sofa, um meine Füße darin zu baden, während ich kaffeeschlürfend meine Lieblingsserie schaue.
🪟 Wenn alles nichts nützt: zieh die Vorhänge zu. Wenn dir einfach alles zu blöd ist und du nicht die Energie oder Laune dafür hast, irgendwelche Tipps zu befolgen, dann zieh einfach die Vorhänge zu und ignoriere, was da draußen passiert. Das ist völlig in Ordnung, solange es dir damit gut geht. Die Sonne wird nicht zum letzten mal rausgucken, also was soll all der Ärger?
Konntet ihr unter meinen Tipps etwas Passendes für euch finden? Ich habe mich heute dazu entschieden, nur ein bisschen rauszugehen und meine gewohnte Spaziergeh-Strecke abzuklappern. Später werde ich mir beim Bäcker noch ein Stück Kuchen holen und es auf dem Balkon mit einem Kaffee genießen. Das reicht dann aber auch 😉
Übrigens: der Begriff „Drinnie“ ist die wunderbare Erfindung von Giulia Becker und Chris Sommer, die in ihrem gleichnamigen Podcast ganz viel Gleichgesinnten-Gefühl erzeugen. Hört mal rein 🎧