Kündigen – Loslassen und Gehen lernen

Kündigen ist besonders als hochsensibler Mensch eine Herausforderung

 

Gegen Sonntagnachmittag setzt die Enge in meiner Brust ein. Meine Stimmung kippt. Meine Gedanken kreisen um den bevorstehenden Tag. Denn es ist nicht irgendein Tag. Es ist Montag. Ich werde wieder den Laptop aufklappen, Mails lesen und hoffen, dass keine Antwort notwendig ist, am morgendlichen Stand-up teilnehmen und hoffen, dass mich niemand anspricht und dann meine Projekte bearbeiten und hoffen, dass niemand registriert, wie wenig mich all das interessiert, dass ich am liebsten gerade ganz woanders wäre, dass ich bereits innerlich gekündigt habe. 

So ungut sich das alles anhört, es war eine große Errungenschaft, diesen Punkt zu erreichen. Mir einzugestehen, dass ich nicht mehr zufrieden mit meinem Job bin. Dass er mir nicht mehr ausreichend gibt, um mich halten zu können. Und dass es Zeit für mich ist, zu gehen. Kein Problem, ich bin gut ausgebildet, ein neuer Job ist schnell gefunden. Dann nur noch Kündigung raus und Tschau Kakao.

So einfach ist es natürlich nicht. Wäre es für die wenigsten. Für hochsensible Persönlichkeiten (HSP) stellt so ein Lebensumbruch allerdings eine deutlich höhere Herausforderung dar – besonders dann, wenn sie ihn selbst initiieren müssen.

Warum es besonders Hochsensiblen so schwer fällt, der Arbeit den Rücken zu kehren

Den Job aufzugeben, Abschied zu nehmen und sich in neue Gewässer vorzuwagen – das verursacht sicher bei vielen Bauchkribbeln. Hochsensible Menschen tragen zusätzliche Päckchen mit sich herum, die das Loslassen und Gehen erschweren:

🌩️ Unser schlechtes Gewissen kickt intensiver

💓 Wir arbeiten mit größerer Hingabe für unser Unternehmen

🪶 Wir reagieren empfindlicher auf Veränderungen und Instabilität

🐣 Wir haben ein größeres Verantwortungs- und Zuständigkeitsgefühl

🥀 Wir haben Angst, Fehler zu machen und negativ aufzufallen

💭 Wir neigen zu Grübelei und Was-wenn-Szenarien

Es sind diese Eigenschaften, die es uns so schwer machen, den ungeliebten Job loszulassen und uns nach etwas Passendem umzusehen. Nachdem ich den Entschluss gefasst und die erste Bewerbung losgeschickt habe, quälte ich mich durch schlaflose Nächte und unruhige Tage. Und das, obwohl ich doch genau jetzt Energie und Strahlkraft benötige, um in den ersten Vorstellungsgesprächen zu glänzen, während ich nebenbei meinen bestehenden Verpflichtungen nachkomme.

Vom Gefühl, eine Verräterin zu sein

Und dann war sie da, die Zusage! Für einen Job, wie ich ihn mir besser kaum hätte ausmalen können. Ich saß gerade ausgerechnet im Büro, als die Mail bei mir einflog. Von hier auf jetzt änderte sich alles um mich herum. Ich sah zu meinen Kolleginnen und Kollegen, die vertieft in ihre Monitore starrten. “Du Verräterin”, zischte eine Stimme in meinem Hinterkopf. Ich schämte mich zutiefst. Es war mir unmöglich, mich über die Jobzusage zu freuen. Und auch die kommenden Wochen wurde es nicht leichter. 

Während ich auf den neuen Vertrag wartete, bewahrte ich bei meinem aktuellen Arbeitgeber noch Stillschweigen, besprach Pläne bei denen ich wusste, dass ich sie nicht mehr ausführen würde und gab Gas bei meinem Projekten, um so viel wie möglich vor meinem Abschied abschließen zu können. Ich kann mich an keine Zeit in meinem Leben erinnern, in der ich mich so mies fühlte.

Die Menschen bei meiner Arbeit wurden mir fremd. Ich zog mich zurück, verließ Firmenevents frühzeitig und verbrachte die Feierabende traurig auf dem Sofa. Heute weiß ich, warum mich all das so bewegt hat. Weil ich mich zu meinen Gunsten entschieden habe. Weil ich für mein eigenes Wohl in Kauf genommen habe, dass andere die Konsequenzen tragen müssen. Und obwohl Kündigen ein ganz gewöhnlicher Akt ist, ist es das „Für-sich-einstehen“ oftmals nicht. Ich habe meine Interessen vor die des Unternehmens gestellt und fühlte mich deshalb wie eine egoistische Verräterin. 

Aber die Wahrheit ist: Ich war keine Verräterin, nur weil ich für mich selbst einstand und eine Entscheidung traf, die mich weiter brachte. Ich schätzte das Unternehmen und die Menschen sehr, schließlich haben wir gemeinsam viel erreicht und viele Stunden miteinander verbracht. Doch genauso, wie ein Arbeitgeber darauf achten muss, dass seine Entscheidungen zum Wohl des Unternehmens sind, habe auch ich das Recht, Entscheidungen zu meinem Wohl zu treffen. Zu kündigen bedeutete nicht, dass ich die Menschen oder die Arbeit im Stich lasse, sondern dass ich mir selbst die Möglichkeit gab, zu wachsen und mich beruflich weiterzuentwickeln. Diese Entscheidung war ein Akt der Selbstachtung und der Bereitschaft, auf meine eigenen Bedürfnisse zu hören.

So fällt dir die Kündigung leichter

Heute ist all das ein Jahr her. Rückblickend habe ich nicht alles gut und richtig gemacht. Aber ich bin durchgekommen und stolz auf mich, all das auf mich genommen zu haben, um mir das zu ermöglichen, was mir wichtig war und ist. Ich möchte mit euch die Gedanken teilen, die mir geholfen haben, durchzuziehen, dran zu bleiben und nicht den Verstand zu verlieren.

👉 Es geht um dich und was dir gut tut
Am Ende geht es um dein Leben und darum, dass du die Entscheidungen triffst, die sich für dich richtig anfühlen. Kein Job, kein Team und keine Erwartungen von außen sind wichtiger als dein eigenes Wohlbefinden und deine Zufriedenheit. Du kennst deine Ziele, Wünsche und Grenzen am besten – und danach solltest du handeln. Manchmal bedeutet das eben auch, einen Schlussstrich zu ziehen und etwas Neues zu wagen. Hör auf dein Bauchgefühl und hab den Mut, das zu tun, was für dich das Beste ist. Dein Leben gehört dir, und nur du entscheidest, was dir guttut.

👉 Es wird ständig gekündigt
Jeden Tag entscheiden sich unzählige Menschen, ihren Job zu verlassen – sei es, weil sie etwas Neues ausprobieren möchten, mehr Erfüllung suchen oder einfach eine bessere Balance zwischen Arbeit und Leben brauchen. Du bist also nicht allein, im Gegenteil: Es ist völlig normal, den Job zu wechseln, und viele haben diesen Schritt schon vor dir gemacht und werden ihn auch nach dir noch machen.

👉 Du schuldest niemandem etwas
Du hast in deinem Job immer dein Bestes gegeben und deinen Teil dazu beigetragen – und das zählt. Du musst also kein schlechtes Gewissen haben, wenn du jetzt überlegst zu gehen. Niemandem „schuldest“ du etwas, nur weil du deine Arbeit gut gemacht hast. Dein Engagement und deine Leistung haben bereits einen Unterschied gemacht, und das bleibt bestehen, auch wenn du weiterziehst. Es ist vollkommen in Ordnung, wenn du jetzt das tust, was für dich richtig ist. 

👉 Du wirst daran wachsen
Auch wenn der Gedanke ans Kündigen erstmal herausfordernd erscheint, wirst du an diesem Schritt wachsen. Jede Veränderung bringt neue Möglichkeiten, sich selbst besser kennenzulernen, Mut zu beweisen und über sich hinauszuwachsen. Die Entscheidung, etwas hinter dir zu lassen und Platz für Neues zu schaffen, ist eine Erfahrung, die dich stärker und selbstbewusster macht. Du wirst sehen, wie du durch diesen Schritt nicht nur beruflich, sondern auch persönlich wachsen kannst – und das kann unglaublich befreiend sein.

👉 Es gehört dazu, Angst zu haben
Es ist völlig natürlich, Angst vor dem Ungewissen zu haben, besonders wenn es um eine Entscheidung wie das Kündigen geht. Diese Angst zeigt nicht, dass du schwach bist, sondern dass dir diese Entscheidung wichtig ist und du nichts überstürzt. Viele Menschen fühlen sich ähnlich, wenn sie an einen großen Schritt denken, doch oft berichten sie, dass die Angst nach der Kündigung schnell verfliegt und sie den Schritt als befreiend erleben. Du gehst diesen Weg in deinem Tempo, und die Angst darf da sein – sie hält dich nicht davon ab, etwas für dich zu tun.

👉 Du hast schon andere Herausforderungen gemeistert
Jeder von uns hat schon Veränderungen erlebt, die uns zunächst Sorgen bereitet haben – sei es ein Umzug, ein neuer Lebensabschnitt oder ein anderes ungewohntes Erlebnis. Überlege, welche dieser Veränderungen in deinem Leben im Nachhinein positiv waren und wie gut du dich daran angepasst hast. Diese Erinnerungen können dir helfen, Vertrauen in deine Fähigkeit zu entwickeln, auch diese Situation zu meistern. Du hast bereits bewiesen, dass du auch mit Unsicherheiten umgehen kannst, und jede neue Herausforderung stärkt dich.

👉 Es ist schneller vorbei, als du denkst
Die Entscheidung zu kündigen mag dir vielleicht wie ein riesiger Schritt vorkommen, aber die Zeit danach vergeht oft viel schneller, als man denkt. Die letzten Wochen im alten Job, die sich jetzt vielleicht noch endlos anfühlen, rauschen oft regelrecht vorbei. Zwischen Übergaben, Abschieden und dem Schließen offener Aufgaben vergeht die Zeit im Nu. Bevor du es bemerkst, wirst du den letzten Tag hinter dir haben und bereit sein, das nächste Kapitel zu beginnen. Mach dir also keine Sorgen – der Abschied ist meist kürzer und weniger dramatisch, als es sich jetzt anfühlt.

Schließe diese Tür

Kündigen ist eine Reise, die Mut und Selbstvertrauen erfordert – und vor allem die Bereitschaft, auf sich selbst zu hören. Es bedeutet, Verantwortung für das eigene Glück zu übernehmen und eine Richtung einzuschlagen, die zu den eigenen Werten und Bedürfnissen passt. Diese Entscheidung mag beängstigend sein und zunächst widersprüchliche Gefühle hervorrufen. Doch am Ende geht es um das Vertrauen, dass du für dich selbst die besten Entscheidungen triffst.

Lass dich nicht von Schuldgefühlen oder der Angst vor Veränderung zurückhalten. Kündigen ist kein Schlussstrich, sondern eine Möglichkeit, einen neuen Anfang zu schaffen – einen, der sich richtig und gut anfühlt. Vertraue darauf, dass du es gut machen und danach beschwingt und stolz sein wirst.

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Noch einmal kräftig durchatmen und dann wage dich raus! Du hast schon gekündigt und dein erster Arbeitstag steht bevor? Dann interessiert dich vielleicht mein Beitrag zu Neuanfängen.

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