Bin ich Introvertiert?

Wenn du immer wieder ins Stolpern gerätst

Alltag als Intro

Dein Handy klingelt. Du gehst nicht ran. Denn du gehst nie ran. Wer dich erreichen will, soll dir gefälligst schreiben. Bevor du dich auf den Weg zur Arbeit machst, bleibst du an der noch geschlossenen Wohnungstür stehen, lauschst erst einmal, ob sich Nachbarn im Hausflur aufhalten. Bloß niemandem begegnen, bloß keinen Smalltalk führen müssen.

Bei der Arbeit angekommen, steht auch direkt ein Meeting an. Die Runde diskutiert wild, wirft Fragen und Ideen in den Raum. Du sagst nichts. Krampfhaft schaust du auf die Klebezettel, irgendetwas muss dir doch einfallen… doch da ist das Meeting auch schon beendet. Zum Feierabend erhältst du die Nachricht eines Freundes, der sich darüber empört, dass du ja NIE erreichbar bist. Er lädt dich zu einem Kochabend mit weiteren Freunden ein. Während du dich noch über die Einladung freust, verfasst du auch schon eine Absage. Dein Sofa wartet bereits auf dich. 🛋️ Auf dem Weg nach Hause ist dein Kopf voller Ideen, was du im Meeting doch alles hättest sagen können…

So erkennst du, ob du introvertiert bist

Kommen dir solche und ähnliche Situationen bekannt vor? Vielleicht gerätst auch du immer wieder an den Punkt, an dem du dich wie ein Alien auf einem fremden Planeten fühlst. Oder als ob du Teil eines Spiels bist, dessen Regeln du einfach nicht verstehst. Mit Gewissheit kann ich das auch nicht ausschließen. Die Simulationshypothese hat durchaus überzeugende Argumente 😉  Viel wahrscheinlicher ist es aber, dass du eine stärker ausgeprägte introvertierte Seite hast. Ich drücke es deshalb so sperrig aus, da niemand zu 100% extro- oder introvertiert ist. Es kann gut möglich sein, dass du je nach Situation zwischen diesen beiden Polen pendelst. Viele bezeichnen sich deshalb auch als “Mischform” oder „ambivertiert“. 

Letztlich ist es für dich auch gar nicht so entscheidend, wie du dich nennst. Zu erkennen, ob du zu einer introvertierten Persönlichkeit tendierst, kann dir aber helfen, dich und dein Umfeld besser zu verstehen. Das hilft dir, deine eigenen Strategien zu entwickeln, um aus dem Stolpern herauszukommen und dich selbst anzunehmen. Die folgende Checkliste enthält Eigenschaften und Verhaltensweisen, die als typisch introvertiert gelten.

Lies dir die Punkte in Ruhe durch. Erkennst du dich darin wieder?

☎️ Ich hasse telefonieren. Werde ich angerufen, gehe ich meistens nicht ran. Besonders, wenn es sich dabei um eine unbekannte Nummer handelt. Selbst Menschen, mit denen ich mich gerne treffe, würge ich am Handy lieber ab.

🐌 Ich meide spontane Begegnungen. Wenn die Nachbarn an meiner Tür klingeln, stelle ich mich für gewöhnlich tot. Bin ich in der Stadt unterwegs und erkenne von weitem einen Bekannten, verstecke ich mich schnell hinter der nächsten Ecke.

🫥 In Gruppen gehe ich unter. Selbst wenn ich gute Gedanken habe, äußere ich sie selten in größeren Runden. Doch oftmals fällt es mir sowieso schwer, dem Gesprächs-Durcheinander zu folgen. 

💭 Ich denke mich gerne in komplexe Themen ein. Am besten arbeite ich allein. Dann kann ich mich auf meine Aufgabe fokussieren, mich tief in die Thematik eingraben und jedes Detail analysieren. 

🐺 Ich bin gerne für mich. Selbst wenn ich stunden- oder tagelang keinen Menschen gesprochen habe, fühle ich mich nicht einsam. Alleinsein ist für mich ein Zustand der Erholung. Meine Komfortzone ist mein Lieblingsplatz.

👽 Ich fühle mich oft missverstanden. Man hält mich für schüchtern, ängstlich, unhöflich oder arrogant. Menschen irritiert mein Verhalten. Nicht selten muss ich mich erklären, oder mir Ausreden einfallen lassen.

🪫 Sozialer Kontakt erschöpft mich. Nach einem Tag unter Menschen, brauche ich erst einmal wieder Zeit für mich. Mein Akku ist dann einfach aufgebraucht. Meist verlasse ich die Party zuerst. 

🗓️ Spontaneität ist nicht mein Ding. Nach der Uni noch spontan in den Park? Nein, danke. Mein Tag ist schon verplant mit leckeren Snacks auf der Couch und einer Folge meiner Lieblingsserie (Na gut, es sind eher 5 – 6 Folgen).

☕ Ich führe gerne tiefgründige Gespräche. Smalltalk ist für mich schwer zu ertragen. Doch mit dem richtigen Gegenüber kann ich mich stundenlang unterhalten. Dabei fällt es mir leicht, zuzuhören und mich in die andere Person hineinzuversetzen.

🙈 Ich werde nicht gerne beobachtet. Ob beim Essen, Arbeiten, Schreiben, …. Wenn mir jemand zusieht, fühle ich mich unwohl. Ich werde zu verkopft und achte plötzlich auf jede meiner Bewegungen. 

🫣 Es fällt mir schwer, mich selbst anzunehmen. Ich wünsche mir oft, anders zu sein. Andere beneide ich um ihre offene und gesellige Persönlichkeit. Durch mein bröckelndes Selbstbewusstsein verstärken sich die unangenehmen Situationen oft.

Ich beabsichtige nicht, dir an dieser Stelle ein Profil auszuspucken, das dir sagt wie introvertiert du bist. Ich möchte dich nur dazu ermutigen, dich intensiv mit dir und deiner Persönlichkeit auseinanderzusetzen. So kannst du für dich erkennen, in welchen Situationen du dich wohlfühlst, Energie auflädst und Freude empfindest. Aber auch erkennen, wann du dich schwer tust, ins Stolpern gerätst und dich vielleicht auch selbst nicht richtig verstehst. Dass so viele Introvertierte oft mit sich und ihrem Umfeld hadern, ist kein Zufall. Doch das Problem sind nicht sie selbst, sondern die Gesellschaft, in der sie leben. 

Introvertiertsein in einer lauten Welt

Es wird davon ausgegangen, dass die Zahl der Introvertierten weltweit mit der der Extrovertierten etwa gleich aufliegt. Viele überrascht diese Aussage, scheinen wir Intros doch wie kleine Aliens zwischen all den lauten und aufgeschlossenen Menschen umherzuwandeln. 👽Susan Cain beschreibt in ihrem Buch “Still” das Wertesystem der westlichen Länder, welches von einem “Ideal der Extraversion” geprägt sei. So dominiert auch hierzulande das Bild eines Menschen, der Erfolg und Lebensglück nur durch Geselligkeit, Lautstärke, Durchsetzungskraft und Eloquenz erreichen kann.

Es ist nachvollziehbar, dass auch viele Introvertierte diesem Menschenbild nacheifern oder zumindest zur Tarnung in bestimmten Situationen in die Rolle eines Extrovertierten schlüpfen. Du wärst überrascht, wer in deinem eigenen Umfeld alles Introvertiert ist! Und vermutlich erinnerst auch du dich an Situationen, in die du dich unfreiwillig begeben hast, um nicht als introvertiert entlarvt zu werden.

Wir Intros stehen in der Menge und bestaunen still den Mut der Menschen, die lautstark auf der Weltbühne umherwandeln. Wir  bleiben solange auf dem zweiten Rang zurück, erfahren die Zweitrangigkeit tagtäglich in unseren Familien, Freundeskreisen, bei der Arbeit … das alles aufgrund eines uns tief definierenden Persönlichkeitsmerkmals, das in unserer Gesellschaft wenig Aufmerksamkeit und Anerkennung erfährt.

Die Foren sind voll von Introvertierten, die sich falsch und unzureichend fühlen. Sie hoffen auf Antworten, damit sie endlich dazugehören, laut und selbstbewusst  sein können. 

 Aber Vorsicht: “Introvertiert” ist keine Fehlermeldung, es bedeutet nicht, dass etwas mit dir falsch ist. Ganz im Gegenteil:

✨ Deine Persönlichkeit ist durch Eigenschaften geprägt, die sehr wertvoll sein können – für dich und deine Mitmenschen. ✨

Du wirst diese Welt nicht von heute auf morgen ändern können. Aber du hast durchaus die Chance, durch einen bewussten Umgang mit deiner Persönlichkeit deine Stärken zu entdecken, Menschen für dich zu gewinnen und neue Quellen der Freude zu erschließen. In den kommenden Beiträgen werde ich mich deshalb auf die Stärken introvertierter Menschen konzentrieren, um dir zu zeigen, was die Welt alles wunderbares für dich offen hält. 🌍💚